Montag, 17. Oktober 2011

Die erste heiße Spur

Quelle: Süd-Deutsche Zeitung

In Brasilien wurde jetzt ein geheimes Konto von Siemens entdeckt. Es soll zur Zahlung von Schmiergeld benützt worden sein

Von Peter Burghardt und Klaus Ott

São Paulo/München - Bis vor kurzem galt der Chef von Siemens Brasilien als Star. Adilson Antonio Primo lieferte dem Konzern üppige Bilanzen aus Lateinamerikas aufstrebendem Riesenreich. 1,8 Milliarden Euro betrug der Umsatz der Filiale im vergangenen Jahr in dem Boomland, Aufträge für 2,1 Milliarden Euro gingen ein. 10000 Mitarbeiter sind in 13 Fabriken und sieben Forschungszentren am Werk. Im Juli kündigte Primo, 58, weitere Investitionen im wachsenden Erdölsektor an. Bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen in Rio de Janeiro moderierte er jüngst noch eine Expertenrunde zum Thema Energie. Doch vergangene Woche gab Siemens seine Entlassung bekannt, Paulo Ricardo Stark, 42, übernimmt die Nachfolge. Eine interne Untersuchung habe 'einen gravierenden Verstoß gegen die Siemens-Richtlinien aufgedeckt', erklärte der Konzern.

Siemens war kürzlich von ausländischen Behörden informiert worden, dass auf einem geheimen Konto, auf das Primo Zugriff hatte, sechs Millionen Euro von Siemens gelagert hätten. Es hatte bereits früher Hinweise auf solch ein Konto gegeben, doch Primo stritt immer ab, damit etwas zu tun zu haben. Jetzt konnte er das offenbar nicht mehr leugnen, aber auch nicht erklären. Das Konto war von 2002 bis 2006 benutzt worden. 2008 wurde es von der betreffenden Bank geschlossen, das Geld verschwand. Der Ablauf lässt vermuten, dass es eine schwarze Kasse für Schmiergeldzahlungen gewesen war. Und dass das Geheimkonto dann, als Ende 2006 der große Siemens-Schmiergeldskandal begann und weltweit hohe Wellen schlug, zu heiß geworden war.

Vielleicht hat das ominöse Konto ja etwas zu tun mit den Siemens-Projekten, bei denen die brasilianische Justiz wegen mutmaßlicher Bestechung ermittelt. Es geht um die Metro und Nahverkehrszüge in São Paulo und Brasilia. Ein Informant, den die SZ in einem Lokal von São Paulo traf, erhebt schwere Vorwürfe. Ein ängstlicher Mensch, der seinen Namen nicht nannte, aber aufschlussreiche Papiere präsentierte, darunter auch Siemens-Unterlagen. Er sei, sagte er, lange bei Siemens gewesen. Ihn ärgere es, dass sein früherer Arbeitgeber nach überstandener Korruptionsaffäre als geläuterter Konzern dastehe.

Siemens hat für den Skandal mit 1,2 Milliarden Euro gebüßt, die an die Justiz in Deutschland und den USA gingen. Das war fast so viel Geld, wie im vorigen Jahrzehnt weltweit in dunkle Kanäle geflossen war, ehe das System der schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen aufflog. Fast der ganze Vorstand wurde ausgewechselt. 'Siemens wird niemanden mehr bestechen', verkündete der Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme. Vorstandschef Peter Löscher versprach 'Null Toleranz'. Von lückenloser Aufklärung war die Rede. Da lachte der Informant. 'Die machen weiter wie vorher', sagte er, jedenfalls in São Paulo und Brasilia. 'Es gibt genug Beweise.'

Seine Vorwürfe konzentrieren sich auf den Bau und Unterhalt einer Metro- und Nahverkehrs-Linie in São Paulo sowie der U-Bahn in der Hauptstadt Brasilia. Projekt im Wert von rund einer Milliarde Euro. Über verschlungene Wege und mit Hilfe überhöhter Rechnungen sollen Lokalpolitiker und Geschäftspartner mit zweistelligen Millionenbeträgen geschmiert worden sein, teilweise über Drittfirmen etwa in Uruguay. Der Siemens-Kritiker legte verdächtige Verträge vor. An einem der Konsortien soll auch ein anderer europäischer Konzern beteiligt gewesen sein, gegen den wegen auffälliger Zahlungen an brasilianische Politiker ermittelt wird. Ebenfalls in Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen.

Zu den Empfängern angeblicher Siemens-Zahlungen sollen zwei Provinzpolitiker aus Brasilia gehören. Einer der beiden hatte wegen einer Finanzaffäre namens 'Büchse der Pandora' zurücktreten müssen. Er war gefilmt worden, als er Geld entgegennahm. Siemens tauchte offenbar, als die 'Büchse der Pandora' von den Behörden untersucht wurde, darin nicht auf. Doch es sah aus, als könnten die Vorwürfe gegen den Konzern aus Deutschland zum Politikum in Brasilien werden. Der Informant hatte sich mit seinen Verdächtigungen bereits 2008 an den Politiker Roberto Felício gewandt und ihm auch Papiere gegeben. Felício sitzt für die linke Arbeiterpartei PT im Parlament von São Paulo. Die PT regiert Brasilien schon seit Jahren. In São Paulo, wo Siemens bestochen haben soll, ist die PT in der Opposition. Die Schmiergeld-Vorwürfe richten sich unter anderem gegen Funktionäre der dort regierenden PSDB. Der Oppositionelle Felício leitete die Anschuldigungen gegen Siemens weiter. Einerseits an Staatsanwälte in Brasilien, andererseits an die Anwaltskanzlei Beckstein und Kollegen in Nürnberg. Günther Beckstein war Innenminister und dann Ministerpräsident in Bayern; während seiner Regierungsarbeit ließ er die Tätigkeit in seiner Kanzlei ruhen. Die Nürnberger Kanzlei schickte die Papiere aus Brasilien, in denen der dortige Konzern-Statthalter Primo als Verdächtiger genannt wurde, an Siemens. Der Konzern wiederum gab das Material den US-Anwälten von Debevoise & Plimpton, die im Auftrag des Aufsichtsrats die weltweiten Verfehlungen untersuchten. In Brasilien kam dabei nichts heraus.

2009 meldeten sich Staatsanwälte aus Brasilien bei Siemens in München und verlangten Auskünfte zu den Verkehrsprojekten, bei denen geschmiert worden sein soll. 2010 ging bei dem Konzern ein anonymer Hinweis dazu ein. Schließlich begann Siemens selbst zu ermitteln, ohne groß voran zu kommen. Konzernverantwortliche beteuerten, man werde weiter graben, notfalls sehr tief, um den Vorwürfen nachzugehen. Nun gibt es mit dem geheimen Konto, auf das Primo Zugriff hatte, erstmals eine heiße Spur.

Siemens will nach Angaben aus Konzernkreisen nun alles wissen: Wie das Geld aus dem Unternehmen auf das Konto transferiert wurde, was mit den dort vorhandenen Mitteln geschah, wo die am Ende noch vorhandenen sechs Millionen Euro geblieben sind, und wer hinter all dem steckt. Und ob Schmiergeld für die Verkehrsprojekte in Brasilien gezahlt wurde. Primo wird dazu bestimmt nichts sagen. Aber vielleicht reden jetzt andere.

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