Montag, 2. Januar 2012

Brasilien bietet die Erfolgsgeschichte in Krisenzeiten - weil das Land aus Fehlern anderer lernt

SZ: Aufsteiger-Lektionen - Von Sebastian Schoepp

Wer zum Jahresausklang zur Abwechslung ein paar gute Nachrichten will, muss nach Süden blicken. Wenig - zu wenig - beachtet von dem ganz auf seine Krise fixierten industrialisierten Norden, vollzieht sich der Aufstieg von Regionen, die noch vor kurzem als Hort von Chaos, Krisen und Kriegen galten. Die Länder Lateinamerikas haben seit Jahren stabile Wachstumsraten von vier bis sechs Prozent. An der Spitze liegt Brasilien, das eben erst Großbritannien auf der Liste der größten Volkswirtschaften von Platz sechs verdrängt hat. Bis 2015 will man Deutschland vom vierten Rang vertreiben. Diese Verschiebung der Gewichte kann auf Dauer nicht ohne Folgen für die Welthierarchie bleiben.

Als IWF-Chefin Christine Lagarde kürzlich auf Betteltour nach Mexiko, Peru und Brasilien ging, um Geld für Europa lockerzumachen, vermerkte ein hochrangiger brasilianischer Politiker nicht ohne Süffisanz: 'Früher haben die örtlichen Behörden selbst beim Besuch des nachrangigsten IWF-Vertreters gezittert, heute kommt die Chefin, um Hilfe zu erbitten. Das ist eine historische Wende.' Brasiliens Wende ist Ergebnis eines eigenwilligen Weges, der mitunter von Dickicht überwuchert war. In den 40er Jahren lobte Stefan Zweig seine Exilstätte als 'Land der Zukunft'. Diverse Rückschläge führten dazu, dass später der Witz kursierte, Brasilien sei das Land, in dem die Zukunft nie eintreffe. Nun jedoch bescheinigt selbst Lagarde Brasilien, es sei 'immun gegen die Krise'. Die Währung ist stabil, die Wirtschaft diversifiziert, das Land lebt nicht nur von Rohstoffen, produziert auch Flugzeuge, Autos, Sicherheitstechnik. Die für 2012 erwartete Abkühlung der Konjunktur ist fast schon willkommen, denn Brasilien droht an seiner Dynamik zu ersticken.

Es zahlt sich aus, dass Brasilien - ähnlich wie die asiatischen Tiger - erst nach innen wuchs, ehe es im Äußeren wirken wollte. So konnte der Gigant aus Fehlern lernen und sich aus eigener Kraft entwickeln. Das verleiht Selbstbewusstsein. Anders als der stets wankende Nachbar Argentinien strotzt Brasilien vor Zuversicht. Die Demokratie stellt niemand mehr in Frage, die Wahlkämpfe sind unideologisch und fast so langweilig wie in Europa - stets ein Ausweis von Stabilität. Ölfunde vor der Küste machen das Land autark, Fußball-WM und Olympia sollen den nötigen Schub für die Infrastruktur bringen.

Selbst die endemische Korruption hat in Präsidentin Dilma Rousseff eine zähe Gegnerin gefunden. Die Armut wurde durch Umverteilungsprogramme gelindert, es entsteht ein konsumhungriger Mittelstand. Dass dies unter staatlicher Ägide geschieht, macht Brasilien für Kapitalismuskritiker zur sympathischen Alternative zum neoliberalen Mainstream. In 30 Jahren wolle man europäischen Lebensstandard erreichen, sagt der Finanzminister - und damit das Armutsproblem lösen, dass immer noch die wichtigste Ursache für die Gewalt im Land ist. Der Energiehunger fordert allerdings Opfer, Wasserkraftprojekte etwa bedrohen den Regenwald.

Aus seinem Aufstieg leitet Brasilien den Anspruch auf einen Platz am Tisch der Mächtigen ab, verlangt einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Es strebt nach einer Sprecherrolle im noch losen Verbund der Brics-Staaten (Brasilien Russland, Indien, China und Südafrika). In Afrika ist Brasilien neben China einer der Hauptakteure. So entsteht ein Süd-Süd-Dialog, der den Norden zunehmend außen vor lässt. Im Unterschied zu früheren Emanzipationsversuchen des Südens, etwa der Blockfreien, agiert Brasilien nicht antisystemisch, sondern pflegt den gesellschaftlichen Weltkonsens - wenn auch mit eigener Note. Dass es die Nato-Bombardements in Libyen kritisierte, war keine Sympathiebekundung für Gaddafi, eher eine Trotzhaltung. Man ist nicht mehr gewillt, Entscheidungen einfach hinzunehmen, die in den alten Machtzentren gefällt werden.

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